Nach dem Original von Heinrich Trillich, veröffentlicht im Juni 1891. In modernerer Sprache ...
Die mikroskopische Untersuchung des Papiers
Es ist eine bekannte Tatsache, dass sich bei vielen seltenen Marken eine Ganzfälschung sehr lohnt und dass fleißig und geschickt nachgeahmte Briefmarken durch Vergleich mit echten oft nur sehr schwer, manchmal gar nicht als Fälschungen zu erkennen sind.
Werden zum Druck der Nachahmungen sogar die Originalplatten verwendet, so ist die Zeichnung in den meisten Fällen für die Beurteilung der Marke als „echt oder Nachdruck" wertlos. In solchen Fällen hat sich das Interesse des Prüfenden stets schon auf das Papier selbst erstreckt und ein Mittel, das Wasserzeichen, erfreut sich nicht nur der besonderen Aufmerksamkeit der Sammler, es wird geradezu als Schutzmittel gegen Fälschungen angewendet.
Immerhin gibt es eine große Anzahl von Marken, die leider ein derartiges Schutzmittel nicht tragen, anderseits möchte ich darauf hinweisen, dass mir Marken mit künstlichem Wasserzeichen unter die Hände gekommen sind. Ein Mittel nun, an dem der Prüfende gewöhnlich nicht ohne sicheren Erfolg ansetzt, ist die Untersuchung des Papiers selbst, die allerdings erst nach längerer Übung zu entscheidenden Urteilen befähigt und fachmännische Kenntnis sowohl des Mikroskops, als der Papierprüfung voraussetzt.
Alles Papier ist bekanntlich ein dünner Filz aus Fasern, für gewöhnlich Pflanzenfasern. Es wird hergestellt, indem man die Rohmaterialien in ihre feinsten Teile (Fasern) zerreißt, diese in Wasser aufrührt, und den Brei auf Siebe ausgießt, dort das Wasser ablaufen lässt und den zurückbleibenden Filz trocknet und presst.
Als Rohmaterialien dienen für alle besseren Papiere Lumpen von Leinen-, Woll- und Baumwollstoffen, außerdem aber werden in neuerer Zeit auch Stroh und insbesondere Holz zur Papierbereitung in Verein mit Lumpen verwendet.
Das verwendete Holz (Tannen-, Fichten-, Pappelholz) wird zum Teil mechanisch in seine Fasern zerrissen (Holzstoff), zum Teil auf chemischem Wege durch Kochen mit starken Laugen oder sonstigen Chemikalien so zersetzt, dass der reine Holzstoff, die Cellulose zurückbleibt. Außerdem wird gewissen Papieren ein Zusatz von mineralischen Stoffen, teils zum Zwecke der Volumen- und Gewichtsvermehrung, teils zum Zwecke der Färbung gegeben, so Ton (China clay), Gips, schwefelsaures Baryt und die verschiedensten Farben.
Fast alle Papiere werden zur besseren Verfilzung „geleimt" und zwar wird nicht nur dem Papierbrei eine leimende Mischung (tierischer Leim, Stärkekleister, oder Harze und Alaunlösung, oder Seife) zugesetzt, sondern oft das fertige Papier in solche Mischungen eingehängt. Die wesentlichen Bestandteile des Papiers, die Fasern, besitzen nun ziemlich feste Formen, welche bei gleichem Rohmaterial in gleichem Aussehen wiederkehren und zwar sind die Fasern der einzelnen Materialien derart verschieden, dass sie ein ausgezeichnetes Erkennungsmittel bilden.
Die Betrachtung der Fasern muss mikroskopisch mit einer 300 bis 500fachen Linear-Vergrößerung geschehen, Vergrößerungen, welche unsere Schülermikroskope meist erreichen. Wer Papier untersuchen will, muss sich vor allem mit den Grundformen der Fasern verschiedener Rohstoffe vertraut machen.
Lein- und Hanffasern stellen sich als walzenförmige, glatte, sehr dickwandige Röhren mit deutlich hervortretender Innenhöhle dar. (Abbildung 1.)
Baumwollfasern bilden platte, korkenzieherartig gewundene Bänder. (Abbildung 2.)
Schafwollfaser ist bedeutend dicker als die Leinenfaser und bildet nahezu völlig runde Röhren, die außen mit dachziegelförmig angeordneten Schuppen bedeckt sind. (Abbildung 3.) Während man es bei den genannten drei Rohstoffen mit verhältnismäßig einfacheren Formen zu tun hat, kommen bei Stroh und Holz neben den einfachen Faserformen begleitende Nebenformen mit ganz charakteristischen Zeichnungen vor.
Beim Stroh sind es gewisse Oberhautzellen, sogenannte Tafelzellen, welche eine ganz bestimmte Deutung ermöglichen. (Abbildung 4.)
Das Holz wird neben den Holzfasern charakterisiert durch seine Gefäße, die wieder bei Laub- und Koniferenholz verschieden sind. Die Gefäße des Laubholzes sind Zellen mit siebartiger Durchlöcherung (Abbild. 5), dagegen die Gefäße des Koniferenholzes lang gestreckte getüpfelte Fasern. (Abbildung 6.)
Wie ersichtlich, bieten dann die einzelnen Rohmaterialien Unterscheidungsmerkmale genug dar, so dass es dem geübten Mikroskopiker nicht schwer fällt, aus dem mikroskopischen Bild eines Papiers bestimmte Schlüsse zu ziehen. Denn so sehr auch bei der Papierbereitung die Fasern bloßgelegt und zum Teil zerrissen werden, eine große Zahl und ebenso die Begleitelemente gehen unverändert ins Papier über.
Die mikroskopische Prüfung sowohl der Rohmaterialien als auch des Papiers erfolgt in der Art, dass man einige Fasern, oder ein sehr kleines Stückchen Papier auf einen Objektträger bringt. Das ist ein länglich rechteckiges Stück einer Glasscheibe, dort mit Hilfe zweier Nadeln etwas zerzaust, einen Tropfen Glyzerin darauf fallen lässt und nun mit einem Deckgläschen, ein sehr dünnes Glasscheibchen, bedeckt, derart, dass keine Luftblasen entstehen. Man fasst nämlich das
sauber geputzte Deckgläschen mit einer Pinzette, legt es mit einer Kante seitwärts vom Objekt auf den Objektträger und bedeckt das Objekt, indem man das Deckgläschen langsam senkt und schließlich vorsichtig gut andrückt.
Das derart vorbereitete Präparat wird zuerst bei guter Beleuchtung bei einer etwa 150fachen, dann bei 5OOfacher linearer Vergrößerung untersucht, wobei man sich die Merkmale auf ein neben das Mikroskop gelegtes Papier aufzeichnet oder aufschreibt.
Das Papier der Briefmarken ist gewöhnlich so dick, dass es bei 5OOfacher Vergrößerung kein oder nicht genügend Licht durchlässt, um die einzelnen Fasern noch genügend unterscheiden zu können. Das einfachste wäre nun, ein kleines Stückchen der Marke zu zerzausen — aber jeder Markenbesitzer wird gegen eine derartige Verstümmelung energisch protestieren — und daher bleibt oft nichts anderes übrig, als die Ränder der Marke einer genauen Untersuchung zu unterziehen, da man hier immer freiliegende Fasern findet.
Selbstverständlich muss die Marke von allen fremden Bestandteilen sorgfältig gereinigt sein. Sie wird daher zuerst in Wasser gelegt und gewaschen, dann feucht auf einen Objektträger gebracht, ein Teil der Umrandung, den man mit der Nadel ohne Schaden etwas zausen kann, mit einem Tropfen Glyzerin und dann mit dem Deckgläschen bedeckt.
Auf diese Art gelingt es, ohne jede Schädigung der Marke sie mikroskopisch untersuchen zu können. Legen wir z. B. der Übung halber eine neue 5 Pfennigmarke der Reichspost [Krone/Adler] derart vorbereitet unter das Mikroskop, so erhalten wir bei Einstellung eines Zähnungsvorsprunges, wo also die Marke von ihrer Nachbarin getrennt wurde, bei 100facher Vergrößerung das in Figur 7 gegebene Bild.
Da dasselbe noch keinen genügenden Aufschluss gibt, verwenden wir an derselben Stelle eine 240fache Vergrößerung und nun löst sich das Gewirr der Fasern deutlich auf. Wir sehen nur Fasern ein und derselben Grundform, wenig gewundene Röhre mit mehr oder minder deutlicher Höhlung, so dass wir mit Bestimmtheit sagen können, die Marke ist aus einem nur Leinfasern enthaltenden Papier hergestellt. (Abb. 8.)
Reißen wir die Marke mitten durch, so erhalten wir am Riss ein Bild, das Abbildung 9 wiedergibt: ebenfalls wieder unsere wirren, oben gekennzeichneten Leinenfasern und über und zwischen derselben der grüne Farbstoff in dünnerer und dickerer Auftragung, auf der Abbildung durch die stark schattierten Stellen angedeutet.
Auf diese Art ist man im Stande, bei genügender Übung nicht nur zu unterscheiden, ob das Papier zweier verschiedener Marken dasselbe ist, sondern man kann die Grundstoffe des Papiers ganz bestimmt bezeichnen. Nun gibt es aber ein Mittel, welches diese Untersuchung ganz wesentlich erleichtert.
Löst man nämlich schwefelsaures Anilin (Anilinsulfat) in Wasser, bis sich weiter nichts auflöst und setzt dieser Lösung einige Tropfen verdünnte Schwefelsäure zu, so hat man hier eine Lösung, welche Holzstoff entschieden und deutlich goldgelb färbt. Betupft man also die auf dem Objektträger befindlichen zerzupften Papierstückchen statt mit Wasser oder Glyzerin mit dieser Lösung von Anilinsulfat und untersucht nach Auflage des Deckglases mikroskopisch, so findet man alle holzigen Teile goldgelb aus der Umgebung hervorstechen.
Auf diese Art und Weise habe ich nun zahlreiche Marken, Neudrucke, Faksimiles und Fälschungen untersucht und komme zu folgenden Schlüssen:
Die Marken aller Staaten, soweit ich solche bisher untersuchte, bestehen aus reinem Leinenpapier, insbesondere die älteren Marken weisen nur die ganz reine, nicht sehr stark zersplissene Leinenfaser auf. Es ist dies nicht anders zu erwarten, Marken sind Wertpapiere, und zu solchen wird nur bestes, reines Leinenpapier verwendet, weil nur dieses Gewähr für längere Haltbarkeit und Unveränderlichkeit, sowie genügende Festigkeit bietet.
Während daher die echten, noch jetzt erscheinenden Marken aus Leinenpapier hergestellt sind, hat sich das meiste im Handel befindliche Papier mit Surrogaten in mehr oder minder hohem Masse mischen lassen müssen, so dass z. B. das Papier unserer Tagesblätter aus nahezu reinem Holzschliff besteht. Auch fast alle Neudrucke, besonders auch Faksimiles und Fälschungen sind auf solches gemischtes Papier angewiesen, um so mehr oft als gerade der Fälscher einen bestimmten alten, vergilbten Papierton, gewisse Dicken und Griffigkeit nachzuahmen gezwungen ist und in gewissen Handelspapiersorten dann einen ihm passenden, unter dem Mikroskop aber um so eher zum Verräter werdenden Ersatz des echten Papiers findet.
Ja, die gewöhnlichen Fälschungen finden sich meist nur auf Holzschliffpapier gedruckt, und eine solche Marke gibt uns dann ein mikroskopisches Bild, wie Figur 10, bei der die mit Anilinsulfat stark gelb werdenden Fasern als aus Holz herrührend, die ebenfalls gelben langen getüpfelten Gefäße als aus Tannen- oder Fichtenholz stammend, die Marke als eine von der echten im Papier ganz und gar abweichenden kennzeichnen. (Hamburg 1864. 2 1/2 S. grün, ungezähnt.) Die gelben Teile sind auf der Abbildung sehr dunkel gehalten. Eine in der Zeichnung gut gelungene Fälschung der St. Vincent 1866, l sh. schiefergrau, färbt mit Anilinsulfat schwach gelb, die gelb färbenden Stellen, auf der Abbildung sehr dunkel, kennzeichnen sich durch die quer getüpfelten, siebartigen Gefäße, sowie durch die Markstrahlen als von Laubholz herrührend, dessen Elemente in der echten Marke völlig fehlen. (Abbildung 11.)
Das Illustrierte Briefmarken-Journal brachte früher die nun leider aufgegebenen trefflichen Faksimiledarstellungen seltener Marken, von denen ich ebenfalls einige untersucht habe. Auch sie zeigen im Papier wesentliche und deutliche Unterschiede von den echten Marken. Das Faksimile von St. Vincent 1880, 5 sh. karmin, weist ein aus Leinen und Baumwolle bestehendes Papier auf, denn die in Figur 12 abgebildeten gewundenen, bandartigen, flachen Fasern gehören der Baumwolle an. Die Faksimiles Surinam 2 Fl. 50 Ct. und Curacao 21/2 Fl. zeigen neben den Leinenfasern der echten Marken noch mit Anilinsulfat gelb färbende (auf der Abbildung sehr dunkle) Elemente, Fasern und Tüpfelzellen des Fichtenholzes, sowie besonders charakteristische, mit Anilinsulfat nicht mehr färbende zackige Tafelzellen einer Strohart. (Figur 13.)
Neudrucke von Bergedorf und Helgoland enthalten die charakteristischen Elemente des Fichtenholzes und unterscheiden sich demnach scharf von den echten, nur Leinenfasern enthaltenden Marken. Derartige Beispiele lassen sich dutzendweise vermehren. Das Papier der Neuausgabe von Österreich ist aus besonders langfaserigem Papier hergestellt, das zur Vermeidung von Fälschungen mit dunklen Fasern durchzogen ist. (Figur 14.)
Unter dem Mikroskop findet man die Fasern in einem ziemlich starken Zustande der mechanischen Zerreißung, besonders Spleissung der Länge nach, die erwähnten, aus dem Papier herausziehbaren dunklen Fasern erweisen sich als violettgraue, ebenfalls der Länge nach gerippte, wenig gewundene Fasern ohne Innenhöhle (Chinagras?). Aus den in vorstehender Abhandlung angeführten wenigen Beispielen wird es jedermann klar werden, dass das Mikroskop dazu berufen ist, schon in nicht mehr ferne liegender Zeit in der Briefmarkenkunde eine wichtige Rolle zu spielen. Durch die großen Fortschritte, welche auf dem Gebiete der Photographie in den letzten Jahren gemacht wurden und die natürlich auch die Fälscher zu verwerten wissen, ist eine vorzügliche Nachbildung der Marken nicht mehr allzu schwierig, und da auch die Wasserzeichen sogar schon gefälscht werden, so wird das Mikroskop bald ein wichtiger Berater in der Markenprüfungsfrage werden müssen. Darauf hinzuweisen soll der Zweck dieser Zeilen sein.